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Ein namenloses europäisches Land in der Krise: Die Gewerkschaften rufen zu Streiks auf, in den Straßen tobt der Mob, Anschläge werden verübt, es gibt Tote, es gibt Bekennerschreiben. Mittendrin: der Innenminister namens Selden, unglücklich verheiratet, Affären nicht abgeneigt, eventuell korrupt, seine Tochter ist gerade bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Kumpfmüller schildert den Kampf eines Politikers mit der Extremsituation, sein Hadern und Hoffen und Zweifeln.

Eine Erzählspirale ins Innere europäisch geprägter Politik zeigt die Lebenswirklichkeit eines fiktiven Innenministers vor dem Hintergrund der zu gleichen Teilen dynamischen wie hilflosen Gesellschaft der Gegenwart.

Jede Zeile ist hochinteressant, und das ganze Buch für alle Bestände eine Bereicherung! Kumpfmüller (vgl. zuletzt "Durst", BA 11/03) hat hier wunderbar nüchtern, dabei keineswegs kalt eine Erzählspirale ins Innere von Politik angelegt, wie wir sie aus europäischer Prägung kennen. Brillant versteht es der 47-jährige Wahlberliner, 382 Seiten ohne Polarisierung auszukommen, denn sein Roman möchte nicht von unversöhnlichen Lagern berichten, sondern den Politikerberuf als solchen vor dem Hintergrund einer zu gleichen Teilen dynamischen wie hilflosen Gesellschaft der Gegenwart beleuchten. Der fiktive Innenminister Selden verliert seine Tochter bei einem Flugzeugabsturz und ihre letzte SMS wird zur "Message" schlechthin. Kumpfmüller gelingt es mit dem wunderbar plastisch geratenen Selden, den Menschen hinter Mechanismen zu zeigen. Geschwächt wird der Roman einzig durch den Versuch, Volkes Stimme in "Chören" zu integrieren. Aber zwischenmenschliche Tiefe, politisches Wortballett und die Wut der Jugend vibrieren unermüdlich und nehmen enorm für dieses Buch ein.